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Chronik
| Autor: | Eigenproduktion | Regie: | Steffi Bittner, Arnaud Geiger, Jona Fragner, Julia Grabhorn | Aufführungsort: | Bammental, Multifunktions-Halle | Zeitraum: | 2025-07-24 bis 2025-07-27 |
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| (Rhein-Neckar Zeitung, 31.07.25)
Parallelen zwischen Spiel und Wirklichkeit
„Das Dorf schläft ein, die Werwölfe erwachen": Stück der Theater-AG am Gymnasium begeistert - Packende lnszenierung
„Erinnert ihr euch noch an den alten Mythos hier im Dorf?“, wird gefragt. Eine Legende? „Genauso hat das damals auch angefangen“, wird gleich anfangs eine Parallele gezogen zur Realität. werden Hinweise deutlich. dass es in dem Stück viele stellvertretende Elemente mit Bezug zur Wirklichkeit gibt. Im ausverkauftem Multifunktionsgebäude feierte das neue Stück der Oberstufen-Theater-AG des Gymnasiums nun Premiere. Unter dem Titel „Das Dorf schläft ein … die Werwölfe erwachen“ entführte das stark besetzte Ensemble sein Publikum in eine düstere, spannungsgeladene Welt. in der Misstrauen, Angst und Gruppendynamik das Geschehen bestimmen - inspiriert vom beliebten Gesellschaftsspiel „Die Werwölfe von Düsterwald“.
Die Oberstufen-A.G, ein Kooperationsprojekt zwischen dem Gymnasium Bammental und dem Theaterverein „Goukelkappe", erweckt damit das gleichnamige Gesellschaftsspiel. Welches 2001 in Frankreich erschienen ist, mit einer Eigenproduktion zum Leben.
Bereits das Bühnenbild ließ die Zuschauer eintauchen in die Atmosphäre eines idyllischen Dorfes und einer demokratischen Dorfgemeinschaft. In der Nacht erwachen hier aber dunkle Mächte, während tagsüber versucht wird, durch Diskussion und Abstimmungen die Werwölfe unter den Dorfbewohnern zu enttarnen. Die Theater-AG brachte diese Spielmechanik mit großem Einfallsreichtum auf die Bühne - und kombinierte sie mit einer Reflexion über Wahrheit, Vertrauen und Gemeinschaft. „Wer ist Freund, wer ist Feind“? Die Dinge sind oft nicht so. wie sie scheinen. Misstrauen macht sich breit. Ist „das Böse“ so eindeutig auszumachen? Angriffe auf die Demokratie, Misstrauen, Manipulation: All diese Themen sind freilich hochaktuell und mit viel Fantasie umgesetzt. Zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, ist auch hier im Dunkel verborgener Mächte nicht ganz einfach.
Erzählerin Anna Eberhardt führte als ruhender Pol durch die Handlung und leitete mit kluger Stimme die wechselnden Szenen ein. Beeindruckend etwa Lea Reichelt in der Rolle der alten Frau, deren Auftritte ebenso geheimnisvoll wie berührend wirkten. Auch Akemi Kamps als Fuchs überzeugte mit starker Bühnenpräsenz.
 | Zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, ist nicht einfach, auch im Stück nicht. (Foto: Barth) | Das Ensemble bestand aus über zwanzig Schülerinnen und Schülern, die in fantasievollen Kostümen (ebenfalls von der Theater-AG gestaltet) eine Vielzahl origineller Figuren verkörperten - von der Bürgermeisterin über Heiler und Hexe bis zum Dorfdepp. Mit viel Spielwitz und großer Ausdruckskraft gelang es den Darstellerinnen und Darstellern. das Publikum über die gesamte Dauer in ihren Bann zu ziehen.
Die Regie übernahmen Steffanie Bittner. Arnaud Geiger, Jona Fragner und Julia Grabhorn, unterstützt von Aljoscha Hornung als Regieassistenz. Gemeinsam schufen sie ein Stück, das sowohl unterhielt als auch zum Nachdenken anregte: Wo liegen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit? Wie schnell kippt eine vermeintlich sichere Gemeinschaft in Misstrauen und Ausgrenzung? Die Dorfbewohner suchen einen Sündenbock für ihre Angst. Die Werwölfe stehen für das Böse im Menschen.
Die Spielleitung liegt bei Stefanie Bittner. Theaterpädagogin bei der Goukelkappe. Sie fasst die Aussage mit Bezug zur Geschichte Deutschlands zusammen: „Leute seid wachsam, wir müssen aufeinander aufpassen." Warum ausgerechnet dieses komplexe Stück? „Die Jugendlichen spielen wahnsinnig gerne dieses Spiel“, verrät Bittner. Dieses lebt davon. dass niemand weiß, wer der andere ist. „Die Jugendlichen hatten Lust auf ein opulentes Bühnenbild", so Bittner, „so haben wir sehr lange getüftelt, um die verschiedenen Ebenen zusammen zu bringen und ein in sich schlüssiges Stück zu machen.“
Gebetsmühlenartig repetierte nun die „Bürgermeisterin“ den Satz: „Wir schaffen das.“ Magdalena Tillson mit Gitarre überraschte mit professionellem Gesang („Perfect“ von Ed Sheeran). das wilde Kind (Sara Hafner) überzeugte mit Widerborstigkeit. Viel Witz war in die Dialoge eingestreut: Bei der Versammlung ist man sich einig, die Beteiligten erheben sich bereits, müssen sich aber setzen, denn erst muss abgestimmt werden. Es wird skandiert: „Düsterwälder Werwölfe raus.“ Mit aggressiver Stimme wird gefordert: „Die sollen verschwinden, wir fühlen uns hier nicht mehr sicher.“ Doch die Bürgermeisterin beschwichtigt: „Das ist nicht so eindeutig. wie das hier von allen dargestellt wird. Die Sachlage ist etwas komplizierter.“ Auch Dialoge in russischer Sprache werden geführt.
Intensiv gearbeitet für die Produktion haben die Schüler bei einer viertägigen Theaterfahrt im Februar 2025 zur Internationalen Jugendherberge Mannheim. Dort feilten sie an Szenen. Figuren und Improvisationen. In wechselnden Gruppen entstanden zahlreiche kreative Einfälle, von denen viele Einzug in das fertige Stück fanden. Neben der Probenarbet sorgten Spiele wie Werwolf, Liederraten oder Pantomime für ein starkes Gemeinschaftsgefühl. das sich auch in der Aufführung spürbar widerspiegelte. Mit der Inszenierung ist der Theater-AG eine kluge. atmosphärisch dichte und gleichzeitig unterhaltsame Umsetzung eines bekannten Spiels gelungen. Die jugendlichen Akteure „schmissen“ sich in ihre Rollen und fesselten von Anfang an mit überzeugender Darstellerkunst. Das Bühnenbild musste nach jeder Probe und jeder Aufführung für den Mensa-Betrieb wieder zurück gebaut werden. Es ist ein Stück, welches das Publikum nicht nur mitnimmt, sondern auch zum Reflektieren anregt – über Vertrauen, Angst und das Menschliche im Miteinander. Zum Schluss ruft‘s: „Das Dorf muss erwachen.“
(Christiane Barth)
(Gemeinde-Nachrichten, 01.08.25)
Das Dorf schläft ein, die Werwölfe erwachen
Neue spannende Produktion von Gymnasium und Goukelkappe
Es ist schon gute Tradition, dass die seit Jahrzehnten erfolgreiche Theater-Kooperationsgemeinschaft zwischen dem Bammentaler Gymnasium und der Goukelkappe eine Produktion komplett selbst und ohne Stückvorlage erarbeitet. Selbst wenn, wie etwa in der mehrfach preisgekrönten Hamlet-Inszenierung, mal ein Shakespeare herhalten muss, wird die Handlung nur lose adaptiert und man wendet sich dem eigentlichen freien Erarbeiten zu, das meist von aufregender psychologischer Tiefe geprägt ist. Das muss nicht verwundern, denn mit Steffi Bittner ist mindestens eine Person im vierköpfigen Regieteam, die ausgebildete Theaterpädagogin ist (Regie: Steffi Bittner, Arnaud Geiger, Jona Fragner und Julia Grabhorn). Sprich der Spaß am Theaterspielen, am (Er)Finden der Rolle und eben auch dem Sich-Selbst-Finden in der Rolle hat eine extrem hohe Priorität. Das spürt man in den Inszenierungen und an der unbändigen Spielfreude der jungen Truppe.
Dieses Mal war es ein Gesellschaftsspiel, das als Kristallisationspunkt für die Erarbeitung diente. Wer noch nie Werwolf gespielt hat – bitte unbedingt nachholen - war etwas im Nachteil. Daher hier ganz kurz dazu: Unter einer Gruppe von Dorfbewohnern gibt es unerkannte Werwölfe, die des Nachts unschuldige Bürger meucheln. Wenn der Spielleiter und Erzähler, im Theaterstück die Erzählerin Anna Eberhardt, die Bühne freigibt für gemeinsame Ermittlungen, geht es darum, schnellstmöglich die Werwölfe ausfindig zu machen, bevor diese, was der negative Ausgang des Spieles wäre, die Mehrheit gewinnen und dann nicht mehr unschädlich gemacht werden können. Es war faszinierend zu beobachten, wie sich aus diesem, an sich harmlosen und spaßigen Gesellschaftsspiel unter gefühlvoller theaterpädagogischer Leitung ein politisches Lehrstück entwickelt hat.
Denn es waren „nicht nur die Morde“ der Werwölfe, die zu einer äußerst angespannten Stimmung im Handlungsort Düsterwald beitrugen. Man hörte in den tumultartigen Dorfszenen auch sonst alles, was man derzeit aktuell in den sozialen Netzen und überhaupt vernehmen kann: „Früher war alles besser“, „Alles wird teurer“, „Warum verdient dieser Ausländer mehr als wir?“, und so weiter. Getrieben von aggressiven Anheizern wie dem rostigen Ritter (Jan Schmidt) oder dem ebenso lautstarken Mitläufer (Timon Cremers), die eine Änderung des Systems herbeiproleten und dabei nicht wenig Zustimmung finden. Sie propagieren einfache, alle Probleme lösende Idiotenformeln, wie sie derzeit sogar ein amerikanischer Präsident erfolgreich einsetzt. Es liegt eben in der Natur des Menschen, dass er nach einfachen Lösungen sucht. Wie schwierig ist es da, eine differenzierte und multikulturelle Demokratie zu bewahren? Die Protagonistin dafür im Stück ist die Bürgermeisterin des Ortes, überragend gespielt von Linnea Fortner, die natürlich alle bekannten Politik-Plattitüden raus haut, aber im Grunde wirklich Vielfalt und Demokratie erhalten möchte. Leider weicht sie zu oft vor den Brüllaffen zurück, sie will einfach nur Ruhe im Staate. Doch genau das ist der Fehler, denn andere wollen das nicht. Und jeden Schritt, den sie um der Ruhe willen rückwärts geht, gehen jene vorwärts.
 | Friedliche Welt. Aber die Werwölfe lauern schon (Foto: Michael Mende) | Ein Sammelsurium an Extremisten will das Chaos: Da ist der Feuerteufel (Annika Hilsenstein, Goukelkappe-Profi, die im November nochmals als Momo auf der Bühne stehen wird), der – Biedermann und die Brandstifter lässt grüßen – nicht nur mit realem Feuer, sondern auch mit dem Feuer der Liebe zur Prostituierten (Leni Leutbecher) spielt, und daran am Ende selbst zu Grunde geht. Das vollkommen durchgedrehte wilde Kind (Sara Haffner). Der Dorfdepp (Anna Keller), der so gar nichts blickt und hervorragend instrumentalisiert werden kann. Die Verschwörungstheoretiker, die das Ende kommen sehen (Seherin Lotta Kathöfer) oder aktiv mit heraufbeschwören, wie der Seher Samir Modabber. Die Militaristen, wie der Jäger (Amelie Richter), die sich nur allzu gerne den vermeintlichen einfachen Lösungen unterwerfen und irgendwie losschlagen wollen.
Doch es gibt sie noch, die bürgerliche Mitte angeführt von der Bürgermeisterin: Der wissenschaftliche Heiler, hervorragend dargestellt von Nina Fragner, der vergeblich nach Obduktionen und echten Fakten verlangt. Die friedensbewegte Gitarrenspielerin (Maggie Tillson), die wie die Hexe (Svenja Richter) den romantischen Rückzug in die Natur lebt und erst viel zu spät zum Widerstand gegen die Radikalen aufruft. Der Fuchs (Akemi Kamps), der im Grunde Werwölfe riechen kann, aber dennoch die Gefahr nicht erkennt.
So nimmt das Spiel seinen Lauf. Unter dem Druck der Radikalen weicht die demokratische Bürgermeisterin Schritt für Schritt zurück. Zuerst geht es gegen die Minderheiten, die nicht die richtige Sprache sprechen oder Kopftücher tragen. Die Familie Romanov (Jan Schmidt, Timon Cremers und Milania Zerenkov) fällt den Extremisten zum Opfer und das ohne ein faires Verfahren in einer scheinbar noch gegebenen Demokratie. Auf willkürliche Vertreibungen folgen Urteile ohne Verfahren, folgen schließlich Lynchmorde. Eskortiert wird das Ganze von Feuerflackern, von unheimlichen heraufziehenden Fratzen oder von lautstarken Tumulten, immer wieder durch bedrohliche Tanz-, Video- und Musikszenen dargestellt. Die professionelle Technik-Bühnensprache eines Robert Bittner oder Jona Fragner lassen grüßen. Auch die Technik-AG des Gymnasiums hat das Amateurstadium weit hinter sich gelassen.
 | Die Werwölfe (Annika Hilsenstein und Juliane Runz) beginnen ihre Intrige gegen die Bürgermeisterin (Mitte: Linnea Fortner) (Foto: Michael Mende) | Und inmitten dieses Durcheinanders bewegt sich ein zunächst unscheinbarer Kleinkrimineller (Juliane Runz), dem der Feuerteufel treu ergeben ist. Und dieser Dieb hat einen richtigen Plan, einen durchdachten und tückischen Plan. Er bringt durch eine geschickt eingefädelte Intrige die Bürgermeisterin zu Fall und tritt zusehends lauter auf, je schwächer er die demokratischen Kräfte wähnt.
Mehr und mehr das Chaos nutzend, schafft er es, am Ende selbst an die Macht zu kommen. Und damit ist der Kipppunkt erreicht, die Demokratie wird zur Tyrannei. Nun brauchen sich die skrupellosen kriminellen Feuerteufel, übrigens ganz in Braun gekleidet, nicht mehr zu verstecken. Sie können jetzt am helllichten Tage morden und zwar bevorzugt die, die noch letzten Widerstand leisten. Man fragt sich, ob die Werwölfe tatsächlich am Ende siegen werden ...
Im Stück ja, aber auch in der realen der Welt?
(Michael Mende)
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